« Und dann lauf ich mit Piercings und Dreadlocks durchs spießige Kärnten »

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Es ist echt irre. Immer wenn ich fliege, dann ist irgendwas. Denn irgendwas ist ja immer. Ich bin der Kandidat, neben den sich immer die setzen, die ein ganzes Flugzeug in Atem halten. Und – wer regelmäßig fliegt, der weiß das – einer tanzt grundsätzlich aus der Reihe. Vor einigen Wochen rastete ein Vater komplett aus. Es battle der erste Flug seines 18 Monate alten Sohnes. Die Flugbegleiterin teilte dem Vater mit, dass er nichts zu essen gebucht hatte. Nur das Designate. Er aber battle sich sehr sicher, dass er vorab im Reisebüro das Käse-, optionally accessible das Wurstsandwich geordert hatte. Nun sorgte er sich, dass Sohnemann auf dem Flug von Köln nach Mallorca verhungern könnte.

Eine Woche später beobachtete ich einen Mann, der sich vor dem Abflug in einer Parfümerie im Accountability-Free-Bereich komplett mit dem süßesten Duft einsprühte, den er finden konnte. Der Geruch machte mich fertig. Denn er hatte beim Flug seinen Platz neben meinem. Mittwoch vor einer Woche saß ich dann im Flieger von Berlin nach Köln. Bärbl boardete gerade noch rechtzeitig. Alle anderen waren schon angeschnallt. Bärbl ist etwa Mitte 60. Sie hat Dreadlocks, ist überall im Gesicht gepierct, überall tätowiert, ihre Haut ist aus Leder. Sie muss früher unfassbar schön gewesen sein. Sie ist es noch. Irgendwie. Sie hat eine frappierende Ähnlichkeit mit Brigitte Bardot. Der Flieger battle in Aufruhr, alleine wegen ihres Auftritts.

Ohne das Laufen kann Bärbl keine Hunde retten

Natürlich, na selbstverständlich, setzte sie sich neben mich. Und stellte eine Hundebox mit einem Dackelwelpen zwischen uns. Der Mini-Dackel steckte seine kleine Schnauze aus der Field, schaute mich mit riesigen Augen an, er hatte mich. Er hatte mein Herz. Und Bärbl damit auch. Bärbl erzählte mir bei einem Kaffee im Flugzeug ihre ganze Lebensgeschichte. Sie lebt mit 26 Hunden in Kärnten und betreibt eine Hundeschule. Zudem setzt sie sich intensiv für den Tierschutz ein. Sie lebt mit ihren Hunden in der Natur. Abgelegen, das ist ihre Erfüllung. „Und wenn mir alles zu viel wird, dann lauf ich. Dann lauf ich einfach. Weißt Du, alle denken eh: Die Alte ist schräg. Ich weiß schon, wie ich wirke. Und dann lauf ich in meinem Alter mit Piercings und Dreadlocks durchs spießige Kärnten. Ewig viele Kilometer. Mit Hunden, ohne Hunde. Egal. Beinahe jeden Ticket. Neulich fragte mich ein kleines Mädchen, ob ich mir auch die Haare wasche. Ich sagte: Na, I lauf nur.“

Das Laufen beruhige ihr Herz. Weil es sonst viel zu oft gebrochen wird. Die Schicksalsgeschichten der Hunde, die bei ihr landen, kann sie kaum verkraften. „Selbst nach 20 Jahren berührt mich die Geschichte eines jeden einzelnen Hundes. Und ich weiß: Es werden noch viele Hundeschicksale meine ganze Energie fordern. Ohne das Laufen ginge es nicht. Ohne das Laufen könnte ich nicht einen Hund mehr retten“, sagt sie. Trinkt ihren Kaffee aus. Streichelt liebevoll den Dackel, bis wir in Köln landen. So läuft es.

Mike Kleiß leitet eine Kommunikations- und Markenagentur in Köln und schreibt für den Tagesspiegel jeden Donnerstag übers Laufen.

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