Bei Marx an der Theorietheke

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Karl Marx geht durch die Stadt. Ist er ein Flaneur? Ein Pfandflaschensammler? Ein Zombie? Ein Gott ohne Gemeinde? Ein Hipster? Ein Warenkörper? In dem Dokumentarfilm von Simone Dobmeier und Torsten Striegnitz, ein Film, der viel eher ein Essay ist, eine Theorietankstelle mit Denkzapfsäulen, läuft tatsächlich ein Mann durch London und Berlin, der eine Karl-Marx-Maske trägt. Das ist ein visueller Einfall, um die verschiedenen Elemente und Ansätze dieses nervös pulsierenden Films zu verbinden: Essay, Reportage, Biografie, Werkzeugkasten, Rezeptionsgeschichte, Gegenwartsdiagnose.

Der Zuschauer begegnet Marx-Deutern, Biografen und Denkern wie dem Publizisten Gerd Koenen, dem wirtschaftswissenschaftlichen Shooting-Enormous name Thomas Piketty, dem konfus-kauzigen Slavoj Žižek, dem begeisterten Marx-Leser und Regisseur Andres Veiel und der Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann. Sehr fern erinnert dieser fiebrige Diskurs-Film an den Anfang der achtziger Jahre Furore machenden Experimentalfilm „Koyaanisqatsi“ von Godfrey Reggio, in dem alle erdenklichen Zivilisationsbilder zur Musik von Philip Glass gegeneinandergeschnitten wurden, ein psychedelisches Panorama unseres Lebens. Man torkelte damals wie besoffen aus dem Kino und meinte, die Welt verstanden zu haben.

Hier hört man speaking heads, lässt sich von ihrer Marx-Inspiration inspirieren und nach 52 Minuten glaubt man, man hätte Karl Marx in toto verschlungen und verstanden. Also man ist auf eine schöne Art gedankenbesoffen, weil die Expertengedanken gar nicht so expertokratisch auftreten, sondern zugänglich, vermittlungsbemüht, verknüpfungsgeneigt.

Den Experten ist die Vermittlungslust anzumerken

Klar, das ist auch ein Verdienst der Montage der beiden Autoren, die Gesprächspartner gefunden haben, denen die Vermittlungslust anzumerken ist. Mit Marx fragt Ulrike Herrmann: „Wie kann es sein, dass in einer Gesellschaft, die immer reicher wird, die Armut zunimmt?“ Gerd Koenen wehrt übertriebene Ansprüche an Marx und sein Werk ab: „Er ist nicht das große Orakel!“, mit dem man die Zukunft entziffern kann. Vielmehr sei Marx daran interessiert gewesen, wie man die Entwicklung des Einzelnen vorantreiben könne.

Immer wieder fährt die Kamera die Fassaden der Finanzkapital-Paläste ab und wir sehen winzige Menschen, klein wie Ameisen, die Geld um den Globus jagen, wir sehen vollautomatisierte Fabrikhallen, in denen Roboter Autos zusammensetzen. Die Autoren konfrontieren diese Globalisierungsbilder mit Zitaten aus dem „Kommunistischen Manifest“ oder „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“.

Manchmal schneiden Marx-Sätze wie Messer durch diese Bilder, manchmal bleiben sie stumpf und man merkt, wie der Kapitalismus Marx schlagend widerlegt oder wie Marx den Kapitalismus chirurgisch zerlegt. Schaut man ins Fernsehprogramm oder auf Büchertische, merkt man schnell, dass Marx, der Denker des Warenfetischismus, selbst eine Ware geworden ist und mitunter ein Fetisch. Andres Veiel ist nur zuzustimmen: „Marx ist kein Retter, aber sich mit Marx zu beschäftigen, macht glücklich.“

Warum? Weil man mit ihm dem Gerede von der totalen Unüberschaubarkeit widerstehen, weil man mit seinen Analysen den „Komplexitätsfallen“ entrinnen kann. Ihr Helden der Fernbedienung, schaut auf diesen Film!

„Fetisch Karl Marx“, Arte, Mittwoch, 21 Uhr forty

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