Ursprünglich hatte Katja Benrath eine Theaterkarriere angestrebt. Schon im Teenageralter war die Bühne ihr einziger Lebensinhalt, manchmal auch auf Kosten der Schule. Dass sie nun mit ihrem Kurzfilm „Watu Wote – All of Us“ als Regisseurin für den Oscar nominiert ist, kann sie immer noch nicht fassen. Seit einer Woche hält sie sich bereits in Los Angeles auf. Nach der Nichtberücksichtigung von Golden-Globe-Gewinner Fatih Akin mit seinem NSU-Drama „Aus dem Nichts“ sind Benrath und ihr Produzent Tobias Rosen die einzigen deutschen Nominierten bei der diesjährigen Verleihung. Dreimal ging der Kurzfilm-Oscar bisher an deutsche Regisseure: 1994 an Pepe Danquart, 2001 an Florian Gallenberger und zuletzt 2009 an Jochen Alexander Freydank.
„Watu Wote“ ist Katja Benraths Abschlussfilm an der Hamburg Media College und erzählt eine wahre Begebenheit: Am 21. Dezember 2015 wird an der Grenze zwischen Kenia und Somalia ein Reisebus von Islamisten angegriffen. Sie fordern die Muslime auf, sich getrennt von den Christen zu versammeln und diese zu verraten. Doch die Muslime weigern sich und retten den Christen damit das Leben.
Katja Benrath und ihr Team erzählen diese Geschichte anhand einer fiktionalen Hauptfigur, einer junge Christin, die auf dem Weg in ihr Heimatdorf im Norden Kenias ist. „Sie ist angelehnt an eine Frau, mit der wir gesprochen haben“, erzählt die 38-Jährige, die in Lübeck aufwuchs. Überhaupt habe es viele Gespräche vor dem Dreh gegeben. Mit Betroffenen, aber auch im Team. Die Entscheidung, eine fiktionale Figur in den Vordergrund zu stellen, sei bewusst gefallen. „Ich hätte ein großes Danger damit gehabt, mit einer lebenden Person dramaturgisch umzugehen“, sagt Benrath.
Ein Reisebus wird von Islamisten angeriffen
Die Geschichte kam eher zufällig zu den Filmemachern – zwei Tage vor dem Tag, an dem die Stoffidee bei der Hamburg Media College eingereicht werden musste. „Wir hatten vorher schon Themen, aber die stießen nicht auf Zustimmung“, erzählt die Regisseurin. „Und dann kam der Gänsehautmoment.“ Tobias Rosen, Produzent des Motion photos, der in Südafrika aufgewachsen ist und viel auf dem Kontinent gereist ist, stellte erste Kontakte zu Journalisten vor Ort her. Die zehntägigen Dreharbeiten finden schließlich mit einem zu 95 Prozent kenianischem Team statt. Schon allein, um den kolonialistischen Blick von außen zu vermeiden, wie Benrath sagt.
„Die Filmbranche in Kenia ist gut aufgebaut, die Leute dort möchten mit Kunst Leben verändern, wirklich etwas erreichen“, fügt sie hinzu. Das hat ihr imponiert. Gedreht ist der Film in Swahili. Casterin Lorella Jowi hat das von Julia Drache auf Englisch geschriebene Drehbuch übersetzt.
Ganze dreiundzwanzig Minuten dauert „Watu Wote“. Lang genug, um seine bedrückend intensive Stimmung zu entfalten. Es ist nicht das aktuelle Thema allein, das dabei berührt, sondern auch die Zeichnung der Hauptfigur. Eine junge Frau, die mit Angst und Vorurteilen beladen ist und sich aggressiv gegenüber den mitfahrenden Muslimen verhält – bis sie es sind, die sie vor den Terroristen schützen. Beindruckend die Hochglanzbilder, die satten Farben und eine Kamera, die immer nahe an den Menschen ist. Der Film wurde bereits bei den First Steps Awards, beim Sehsüchte Pageant der Filmuniversität Potsdam sowie beim Studenten-Oscar ausgezeichnet.
Regisseurin und Schauspielerin in einem
Ernste Stoffe liegen ihr. Noch bevor sie von 2014 bis 2016 an der Hamburg Media College Filmregie studierte, drehte sie verschiedene Kurzfilme, darunter „Puppenspiel“, der sich mit den Folgen von sexuellem Missbrauch auseinandersetzt. Vom Schauspiel kommend, übernahm sie die Hauptrolle damals noch selbst. Auch die Stoffpuppe, die im Film eine wichtige Rolle spielt, hat sie genäht. Weil kein Geld für Requisiten da war, aber auch, weil sie sehr detailverliebt ist: „Jeder Radiergummi, der rumliegt erzählt etwas, das ist mir wichtig“.
Katja Benrath hat das Handwerk verinnerlicht, sie ist gelernte Schneiderin und hat unter anderem schon für die Choreografin Pina Bausch genäht. Wegen einer verlorenen Wette spricht sie später am Vienna Konservatorium vor und wird instantaneous genommen. Sie absolviert den Studiengang Schauspiel, Theater, Musiktheater und ist danach in der freien Szene unterwegs. Irgendwann spielt sie in einem Kurzfilm mit, es folgen ein paar Fernsehauftritte. „Ich habe mich dann quasi über Nacht in den Film verliebt“, erzählt Benrath und lacht. Weil sie entdeckt, wie nah, intim und echt das Kino Themen erzählen kann. Additionally bewirbt sie sich an der Hamburg Media College, um das Handwerk Film wirklich zu lernen. Das Geld für das Studium spart sie sich vorher mühsam zusammen.
Menschen in Grenzbereichen
Warum sie sich oft ernsten Stoffen zuwendet, kann sie nicht genau beantworten. „Es muss mich etwas anrühren, und Konstellationen von Menschen in Grenzbereichen, die über sich hinauswachsen tun genau das“, sagt sie. Wie etwa Tilda in dem gleichnamigen Kurzfilm, die sich aus ihrer Einsamkeit befreit. Oder Express und Tochter in „Im Himmel kotzt man nicht“, die versuchen, so viele intensive Tage wie möglich miteinandser zu verb ringen, bevor die Express ihrer Krebserkrankung erliegt.
Dabei ist Katja Benrath eigentlich ein lustiger Mensch. Das sagt sie nicht nur von sich selbst, sie strahlt es auch aus. Vor allem nimmt sie sich selbst nicht zu ernst, betont immer wieder, dass auch der für den Oscar nominierte Film nur durch Teamarbeit entstehen konnte. „Darin liegt die ganze Magie“, sagt sie.
Und die nutzt sie auch gleich für ein nächstes Projekt: Mit ihrem jetzigem Team soll eine Adaption des Coming-of-Age-Romans „Pferd, Pferd, Tiger, Tiger“ entstehen. Die Drehbuchförderung ist bereits durch. Auch ein Kinofilm wird entstehen. Ein Angebot, das Benrath nach dem First-Step-Award erhielt. Eine Komödie soll es werden.
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